Industrie 4.0: Warum Ingenieure nicht durch Roboter ersetzt werden können

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Kaum ein Begriff ist im Maschinenbau aktuell so präsent und gleichzeitig für viele Unternehmen und Ingenieure so wenig greifbar. Das liegt sicherlich daran, dass die Idee hinter der sogenannten vierten industriellen Revolution bekannt ist, aber in der Praxis sehr unterschiedliche Meinungen und Herangehensweisen in Bezug auf die Umsetzung bestehen. Wir wollen die aktuelle Entwicklung am Markt etwas genauer beleuchten.

Auch wenn Industrie 4.0 oft als Marketingbegriff belächelt wird, lässt sich nicht leugnen, dass das so betitelte Zukunftsprojekt und die Vorstellung einer smarten Fabrik in den letzten Jahren Einzug in den produzierenden Industrien gehalten hat. Einige Unternehmen haben erste Schritte getan – hin zu einer umfassenden Nutzung intelligenter Systeme und somit einer Optimierung der Wertschöpfungskette.

Damit einhergehend hat sich auch die Idee des Internet of Things (IoT) mehr und mehr etabliert, basierend auf der Verwendung von cyber-physischen Systemen (CPS) und einer immer besseren Vernetzung von Gegenständen. Dadurch soll es möglich sein, dass ohne menschliches Zutun Entscheidungen getroffen und Aktionen ausgelöst werden beziehungsweise in einem ersten Schritt der Nutzer die bestmögliche Unterstützung für seine Arbeit erhält.

So hat beispielsweise ABB einen Sensor für Niederspannungsmotoren entwickelt, der Daten erfasst, die mit Hilfe einer Software ausgewertet werden und dem Betreiber Informationen bezüglich des Wartungsbedarfs liefern. Die Maschine tritt also mit dem Mensch in Kontakt.

Auf Basis der Analyse kann bei Bedarf die Einleitung der notwendigen Maßnahmen erfolgen und so können Kosten minimiert und Stillstandszeiten verringert werden. Damit bietet diese Technologie wesentliche Einsparpotentiale im Bereich Wartung und Instandhaltung und die Möglichkeit einen signifikanten Erfolgsfaktor in der heutigen Produktion aktiv zu beeinflussen.

Vernetzen oder einigeln?

Neben diesen Chancen und Möglichkeiten stehen aber speziell kleine und mittlere Unternehmen vor der Herausforderung, dass diese Entwicklung der Industrie die gesamte Arbeitswelt, Unternehmensstrukturen und die Anforderungen an Mitarbeiter nachhaltig beeinflusst. Es besteht die Sorge, dass Menschen durch Maschinen ersetzt werden sollen und auch die Komplexität neuer Softwares und IT-Umstellungen können Verunsicherung auslösen oder in einigen Fällen auch zu einer ablehnenden Haltung führen. Einige kleinere Betriebe erachten das Thema als nicht relevant, andere führen fehlende Fachkräfte oder zu hohe Investitionskosten als Hindernis an.

Ausführlich erläutert dies Prof. Dr.-Ing. Oliver Kramer, Teil der Fakultät für Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule Rosenheim und hochschulweit für das Themengebiet I4.0 verantwortlich, in einem Interview mit dem Online-Magazin servicereport. Seiner Einschätzung nach hätten die Unternehmen aktuell noch Zeit sich strategisch auszurichten, aber über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg sei die Etablierung einer smarten Steuerung der Produktion unverzichtbar.

Es ist nie zu spät für Veränderungen

Letztendlich werden die Forderungen nach Individualisierung eben auch durch den Markt vorangetrieben. Die Produktion soll so optimiert werden, dass auch kleine Losgrößen profitabel gefertigt werden können. Eine bessere Vernetzung über die komplette Lieferkette hinweg sowie eine Qualitätssteigerung durch konstante Kontrollen bedeuten wesentliche Vorteile. Ebenso relevant sind die Einsparpotentiale im Bereich der Wartung durch ‚vorausschauend‘ kommunizierende Maschinen. Es gibt also keine Gründe, sich dieser Entwicklung gegenüber zu verschließen.

Denn auch wenn in der letzten Zeit immer häufiger davon die Rede ist, dass durch Industrie 4.0 ein massiver Abbau von Arbeitsplätzen stattfinden wird, ist der produzierende Sektor auf den Faktor Mensch angewiesen. Unabhängig davon, wie gut die Prozesse optimiert sind, ob Roboter die Produktion steuern und welche Kapazitäten im Bereich der Produktentwicklung entstehen, so wird das Szenario der menschenleeren Fabrik dennoch als unrealistische Vision eingestuft. Speziell Ingenieure werden weiterhin gefragt sein, wenn auch mit neuen Schwerpunkten, da sie häufiger interdisziplinär und in internationalen Teams arbeiten: abgesehen von dem Wissen um Mechanik und Produkte rücken umfassende Softwarekenntnisse, Soft Skills, interkulturelle Kompetenz und Fremdsprachenkenntnisse in den Fokus.

Generell herrscht die Meinung vor, dass weniger in der produzierenden Industrie, als in der Gesundheitsbranche und dem Finanzsektor hohe Jobverluste zu erwarten sind. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass sich die Anforderungen an die Art und Weise der Arbeit ändern, besonders im Hinblick auf Flexibilität. Das bedeutet für Unternehmen, dass frühzeitig in Aus- und Weiterbildung investiert werden muss, um ein entsprechend qualifiziertes Team zu entwickeln.

Außerdem sollten Unternehmen bei der strategischen Planung ein offenes Ohr für die Kunden und deren Anforderungen haben. Auch ein Erfahrungsaustausch mit Lieferanten und eine schrittweise Einführung, beispielsweise durch ein Pilotprojekt, können hilfreich sein. Dann wird auch die vierte industrielle Revolution ein Erfolg. Weitere interessante Referenzprojekte finden Sie übrigens auf der Website des Fraunhofer-Instituts.

 

Glossar

Industrie 4.0

oder auch vierte industrielle Revolution. Dieser Begriff beschreibt die Digitalisierung der Produktion und den Einsatz von Informations- sowie Kommunikationstechnik, um eine Optimierung der Wertschöpfungskette zu erreichen, auch bei Losgröße 1 und/oder individualisierten Produkten.

Internet of Things (IoT)

Unter Internet of Things versteht man die intelligente Kommunikation zwischen Geräten untereinander. Über ein Netzwerk werden Daten gesammelt, weitergeleitet und ausgewertet. Somit können Informationen bereitgestellt, Aktionen initiiert oder auch Alarmsignale ausgelöst werden.

Cyber-physische Systeme (CPS)

Cyber-physische Systeme bezeichnen eine netzwerkbasierte Kopplung von physischen, biologischen und/oder bautechnischen Komponenten, die durch die Einbindung von Sensoren und Aktuatoren in ein Gesamtsystem in Echtzeit miteinander kommunizieren und dabei weitestgehend automatisiert und autonom agieren. Anwendungsbereiche: Industrie 4.0/ Smart Factory, Energieversorgungsmanagement (Smart Grid) oder Verkehrssteuerung und Fahrassistenz (Smart Mobility).

 

 

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